Die Reise geht weiter und diese Etappe beginnt bei den meisten von uns zu der Zeit, wenn wir die ersten Schuljahre freudig über uns ergehen lassen. Im Heranwachsen kommt unweigerlich die Phase, wo wir unbedingt dazugehören wollen – dies bildet den Kern dieser Reife-Stufe. Es bilden sich Cliquen, die sich meist um einen sehr einfachen, banalen Gravitationspunkt herum finden, z.B. das Aussehen, Fußball oder Sport im allgemeinen, Mode, Musik, Theater, oder eine spezielle Band, düster drauf sein, Literaturbegeisterung (Harry Potter, etc.), Glaube, etc.

Auf Stufe 4 wird „dazugehören wollen“ zum dominanten Bedürfnis. Je stärker unser Beziehungsmotiv ist, umso mehr Gewicht bekommt es und damit Stufe 4. Menschen mit hohem Beziehungsmotiv gehen deswegen auch schneller in diese Phase über, lösen sich aber schwerer von ihr in Richtung Stufe 5.
Unsere Werte und Meinungen sind nun massiv von unserer dominanten Peer-Group abhängig. Das sind entweder besagte Freundesgruppen oder – in Ermangelung einer solchen – fiktive Bezugspersonen, wie Musik-Bands, idealisierte Personen oder Personengruppen. Wir erkennen hier oft gar nicht, wie sehr wir die Meinung der anderen zu unseren eigenen machen. Wenn uns jemand fragt, warum wir einen Punkt so vehement einnehmen, fallen uns nicht wirklich viele Gründe ein. Wer blöd fragt, ist aber sowieso blöd – und nicht wert, dass wir uns mit ihm auseinandersetzen. Wir übernehmen automatisch ganz viele Vorstellungen, die die Gruppe teilt – erst später im Leben erkennen wir meist, dass da vieles eher sinnlos oder gar dumm war und dass wir das damals eigentlich auch schon irgendwie wussten. Witzig ist, dass man sogar später – im Rückblick – draufkommt, dass alle in der Gruppe eine Sache anders sahen, aber keiner hat es angesprochen und so vertraten alle eine Sicht, die keiner individuell teilte – es war einfach eine Fehlannahme, die sich verfestigt. Wer die Phänomene von „Groupthink“ kennt, kann dies hier sofort wiedererkennen. Wenn die Stufe 4 uns fest im Griff hat, nehmen wir die Gruppenvorstellungen als unsere eigene wahr. Das können Vorurteile gegenüber Rassen, Klassen oder Themen sein und genauso kann es sein, dass wir den Geschmack der Gruppe annehmen, den Kleidungsstil, was wir gut und was wir doof finden. Unsere Sicht auf die Welt ist in dieser Phase sehr schubladen-mäßig.
Wenn wir uns die Entwicklung auf unserer Reise-Karte ansehen, sehen wir dass wir von Stufe 3, in der nichts über unserem ICH stand, nun in eine Phase drängen, in der nichts über dem WIR (der Peer-Group) steht. Wir lernen uns einzuordnen.

Meine Welt konstruiere ich aus der Perspektive meiner Peer-Group heraus. Ich agiere den Erwartungen dieser entsprechend und ich grenze mich teilweise scharf gegenüber anderen Menschen und Gruppen ab, um meine Zugehörigkeit noch sichtbarer und deutlicher zu machen. Ganz ehrlich, wer nicht zu unserer Gruppe gehört, ist sowieso daneben, oder? Ich mache Dinge, die in meiner Gruppe geschätzt werden und meide alles, was mein Ansehen in der Gruppe untergraben könnte. Ich hinterfrage unsere „Überzeugungen und Vorurteile“ nicht.

Wir haben ein seeehr einfaches Weltbild. Deswegen haben wir auf Stufe 4 teilweise auf „unsere“ Themen ein großes Selbstvertrauen. Und weil wir dazugehören wollen, ereifern wir uns für Themen, die große Zustimmung bringen. Z.B. Fridays for Future wirken als würde es um große Werte und ein tiefes Verständnis für die Zusammenhänge in der Umwelt. Bei einzelnen wird es Krümel davon geben, aber tatsächlich ist es in der Reifestufe ein wahnsinnig naives, extrem vereinfachtes Bild der Welt, das die Grundlage für Entscheidungen und Überzeugungen bietet und der primäre Antrieb ist „Zugehörigkeit = WIR“ und „Abgrenzung = DIE ANDEREN“. Und man bedient sich gerne Themen, um diese Grenzen zu ziehen. Ums Thema selbst geht es den Allermeisten weniger, wie man am Konsum- und Urlaubsverhalten dieser Gruppe unschwer erkennen kann.

Diese Phase ist geprägt von innerer Unsicherheit. Wir alle kennen das aus unserer Teenager-Zeit. In dieser Zeit beginnen wir massiiiiiiiv darüber nachzudenken, was andere über uns denken könnten – ist ja logisch, wenn wir die Stufe verstehen. Unser Denken dreht sich auch mehr um diese Dinge, weniger um ein tiefes Verständnis der Welt. Wir erkennen überhaupt nicht die Komplexität der Welt. Wenn uns jemand tiefere Hintergründe erklären will, wischen wir diese gern als bedeutungslos und Unsinn weg. Das ist nicht böswillig. Wir können einfach diese komplexen Bilder noch nicht in unserem Inneren nachzeichnen und nachvollziehen. Das ist auch kein Vorwurf. Diese Fähigkeiten müssen wir über Erlebnisse und Reflexion erst entwickeln.
In dieser Stufe geben wir Fehler nicht zu. Denn das würde uns ja für andere schwach aussehen lassen. Und unser Ansehen ist uns enorm wichtig – weil wir ja dazugehören wollen. Und nur Starke wollen die anderen dabei haben – zumindest denken wir das. Und dooferweise haben wir noch kein differenzierteres Konzept von Stärken, Schwächen oder Persönlichkeitsebenen, es ist alles sehr schwarz-weiß.

Aber langsam beginnen wir jetzt unser Innenleben ein wenig mehr zu beleuchten. Wir sind nicht mehr durchgängig impulsgetrieben, auch wenn es uns schwer fällt unseren starken Bedürfnissen nicht nachzugeben. Das ist auch wohl der essentiellste Nutzen diese Phase – weil uns das Dazugehören so wichtig ist, lernen wir Impulse (das, was wir jetzt gerade wollen), unterzuordnen. Anderen zeigen wir nur selten und ungern unser Innenleben. Dafür braucht es in dieser Stufe großes Vertrauen und gegenseitige Offenheit. Nur wenn sich der andere zuvor öffnet, können wir quasi zu dem Thema dazulegen. Wenn mir beispielsweise jemand verrät, dass er Probleme mit neuen Menschen ins Gespräch zu kommen, dann kann ich das auch zugeben, wenn es bei mir zutrifft. Doch von mir aus werde ich das in einer Stufe 4 nicht ansprechen – es gibt einfach noch die zu hohe innere Hürde. Wir werden nicht anfangen – außer eventuell in großer Verzweiflung.
Unsere Wut bekommt nicht unsere Peer-Group ab, weil uns das ja im Ansehen schädigen würde. Aber irgendwo muss sie ja hin, weil wir ja auch noch nicht gut in der Umdeutung von Emotion sind - also so gar nicht. Entsprechend bekommen es eben unsere anderen Bezugspersonen ab, unsere Geschwister und Eltern stehen da idealerweise ja gerne zur Verfügung.

Zeichen, mit denen wir gut erkennen können, ob wir oder andere aktuell in Stufe 4 primär verankert sind, ist die sprachliche Darstellung unserer Standpunkte. Wir haben ganz fixe Vorstellung, was richtig ist und was falsch – auch wenn wir uns selbst nicht so stark daran halten. Wir predigen Wasser und langen im nächsten Moment nach dem Wein. Wir wissen vieles besser, aber haben mit vielen Themen und Situationen Probleme und sind rasch emotional überfordert, wenn wir nicht von der Persönlichkeit sehr, sehr gelassen oder passiv sind.
Wenn uns etwas nicht passt oder gelingt, frustrieren wir rasch und es kommen von uns Aussagen, wie „Das mach ich nie wieder.“ „Das machst du immer!“ Die Aussagen bekommen sehr oft verallgemeinernd. Hier zeigt sich, dass unsere Stimmung unsere Welt zeichnet und wir noch gar nicht so guten Zugriff auf eine nüchternere und größere Sicht auf die Zusammenhänge haben.

Das hängt damit zusammen, dass wir in der Emotion extrem eng werden, was unser Denken angeht. Es bringt auch nichts Kinder und Teenager in der Emotion zu belehren. Letztlich können wir ihnen nur versichern, dass wir sie lieb haben und alles wieder gut wird – so naiv das klingt. Doch, wie oben erwähnt, nur wenn sie uns vertrauen und sich bei uns sicher fühlen, kommen sie später, um über die Sache zu reden. Erst muss ihre Emotion aber abflachen, vorher ist es ihnen nicht möglich und sie können das noch nicht selbst gut regulieren. Wir empfinden viele Kleinigkeiten als sehr dramatisch und geben selbst kleinen Problemen ein gewaltiges Gewicht – wenn auch oft nur für ein paar Minuten oder Stunden, abhängig davon, ob wir eine eher emotionale oder rationale Persönlichkeit haben.
Der Artikel ist schon wieder viel zu lang, dabei gibt es natürlich noch sooo viele spannende Aspekte dieser Stufe.
- Wir ändert sich unsere Art des Jammerns, woran leiden wir gern
- Wie können wir auf dieser Stufe motivieren bzw. motiviert werden?
- Wie können wir Entwicklung auf die nächste Stufe anregen?
- Was sind die problematischsten Grenzen, die uns im Leben von Glück oder Erfolg abhalten?
- Wie funktionieren Beziehungen auf dieser Stufe?
- Was müssen wir beachten, um gut mit Menschen in dieser Stufe kommunizieren zu können?
- …
Im nächsten Artikel bewegen wir uns weiter und treten in die Stufe 5 ein, in der wir kompetent und effizient werden. 😊
Bis bald, euer Reisebegleiter,
Jörg