Die Reife-Reise: Stufe 5 - Kompetent & besonders sein (Teil2)

Veröffentlicht am 11. Juni 2025 um 21:29

In Teil 1 unserer ICH-Entwicklungsstufe 5 haben wir gesehen, wie wir beginnen unseren eigenen Weg zu gehen und unabhängiger von unserer Bezugsgruppe werden (Freunde, Familie, Verein,...) Wie unser ICH sich aufmacht persönliche Ziele zu erreichen, dafür mehr und mehr Kompetenzen erwirbt und sich sehr stark mit anderen misst und die Anerkennung anderer ersehnt. So viel Stärke wir in dieser Phase aufbauen, so viel Schwäche liegt auch in ihr, wie Neid, Missgunst, Abwerten anderer Menschen und Menschengruppen, Eitelkeit, Überzeugung Vieles am besten zu wissen, Ausblenden von allem, was unseren Horizont übersteigt, usw.

Nun geht es weiter mit Teil 2 der Entwicklungstreiberei.

ICH brauche Anerkennung

In dieser Ich-Phase ist uns Anerkennung anderer wahnsinnig wichtig. Wir würden das aber nicht zugeben, weil uns das ja selbst (in unserem Denken) schwächer oder „kleiner“ aussehen lässt – und damit die Anerkennung anderer wieder unwahrscheinlich macht. Natürlich haben wir gelernt, dass es taktisch klug sein kann, andere zu loben. Wir machen das – aber weniger aus einer natürlichen Haltung und Wertschätzung heraus, als aus Berechnung, weil wir einen Nutzen für uns darin sehen.

Im Alltag oft direkt zu beobachten ist, dass Menschen darüber reden, wie unwichtig ihnen jemand ist und im nächsten Moment machen sie aber etwas, um dessen Anerkennung zu bekommen. Sehr oft passt das Gesagte und Gemachte nicht zusammen. In dieser Phase prägte ich für mich den Spruch: „Was Menschen sagen, füllt Bände. Was Menschen tun, spricht Bände.“ Ich war zwar nach Außen zurückhaltender, aber meine innere Stimme füllte genauso jene überheblichen Bände.

Auch wenn wir natürlich gerade in der frühen E5 noch viel mit unserer Clique bzw. unserer Peer-Group zusammen sind, empfinden wir viele Themen, die dort besprochen werden, zunehmend langweilig. Wir ertappen uns, dass wir eher unseren Themen nachhängen - auch wenn wir natürlich Tage haben, wo wir diese Gruppenphase auch wieder voll genießen können. Doch dieses intensive Bedürfnis immer bei der Gruppe und den immer-gleichen Freunden zu sein, verliert sich ein wenig und wir gehen mehr unseren Themen nach - außer wir haben das Glück genau in einer Gruppe zu sein, in der wir das verbinden können. Dann fällt uns vielleicht auf, dass andere sich mehr und mehr absentieren und loslösen (weil sie in E5 kommen und ihre Ziele sich nicht mit den Interessen der Gruppe decken)

Status ist so ziemlich der Kern unserer Welt. Kritisiert uns jemand, ist das praktisch eine Feindeserklärung, denn Kritik weist auf Schwächen hin und wir haben noch nicht wirklich verinnerlicht (obwohl wir es geistig natürlich verstehen), dass jeder Schwächen hat und wir nur wachsen können, wenn wir uns diesen ehrlich stellen. Geistig wissen wir es – aber im Verhalten ist es kaum zu sehen. Das ist ein schönes Beispiel, dass unser Geist den nächsten Schritt der ICH-Entwicklung lange schon kennt, wir aber es noch nicht im Verhalten integriert haben. Dieser „suboptimale“ Umgang mit Schwächen behält enorme Kraft über Menschen, die mit hohem Leistungs- und Machtbedürfnis in der E5 festhängen. Feedback-Kultur scheitert an dieser Reife-Stufe, weil wir es hier schlichtweg noch gaaaanz schwer nehmen können.

Im Freundeskreis wird ja nicht offen über echte innere Herausforderungen und Unsicherheiten gesprochen. Dort geht es darum, was man erreicht hat, welche Erfolge man hatte, welche tollen Urlaube man erlebt hat, welche Galerie meine Werke ausstellt, dass ich das tollste neue Bike gekauft habe, usw. Weiterhin jammert man gerne über all die Trottel auf der Welt, die einem das Leben schwer machen und nicht erkennen, was für ein Geschenk an die Welt man ist.

Wenn ich mich daran erinnere, war das wirklich eine spannende Zeit, mit all dieser latenten Unsicherheit, gepaart mit Überheblichkeit. Ich wollte immer der Schlauste im Raum sein und das auch beweisen. Selbst wenn jemand offensichtlich ein gutes Argument hatte, hab ich dagegen argumentiert, ohne Plan, wie ich da wieder rauskomme – aber ich wollte den anderen es nicht lassen, einen besseren Argumentations-Punkt zu finden als ich. Schüchterne Charaktere geben nicht so offenkundig an, genießen es aber dennoch, wenn dann sichtbar wird, was andere beneiden.

Unser Innenleben zeigt sich uns

Auch wenn wir ungern unser Inneres Preis geben, wenn es nicht der Erreichung unserer Ziele dient oder uns Anerkennung bringt, so können wir durchaus schon feinere Nuancen von sozialen und inneren Prozessen erkennen. Wir sortieren Menschen nicht mehr nach komplett oberflächlichen Merkmalen (Herkunft, soziale Schicht, Kleidung, etc.) sondern mehr nach inneren Aspekten, wie Leistungswille, Verlässlichkeit, Fähigkeiten, Effizienz, Einkommen.

Unser Denken und Fühlen dreht sich primär um uns selbst und dem, was wir haben wollen. Wir sehen eher weniger, was wir schon haben. In dieser Phase ist das Gras auf der anderen Seite des Flusses grüner und verlockender. Da das Neue unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, schenken wir dem, was wir schon erreicht haben, weniger Bedeutung – außer es dient uns, um Anerkennung von anderen zu ergattern. Das gilt in dieser Zeit auch für die Menschen in unserem Leben, sofern wir nicht ein starkes Beziehungsmotiv haben. Wir schenken Menschen, deren Aufmerksamkeit wir auf uns ziehen wollen, weil wir sie als erfolgreich (in welcher Art auch immer) wahrnehmen, unsere Energie.

Den Menschen, die in unserem Leben sind und vermutlich wichtig für uns sind, schenken wir wenig Beachtung. Diese bekommen sie eher dann, wenn sie uns das Leben schwer machen. Schließlich geht es um uns. Auf Stufe E4 ist das noch anders. Deswegen fühlen viele eine „Wegentwicklung“ von ihrem Partner in dieser Lebensphase. Der Partner ist einem wichtig, aber eigentlich vor allem für die Komplettierung der eigenen Lebensziele und Vorstellungen. Wir können ja selbst reflektieren, was wir an unserem Partner schätzen und testen, wie viel uns wirklich rein am Partner liegt, wenn wir uns überlegen, wenn die Attribute weg wären, die wir brauchen, z.B. weil uns ein Partner Sicherheit gibt, unseren Erfolg begünstigt, die Kinder versorgt, gutes Geld verdient, gut aussieht, sodass andere uns beneiden, etc.

Das heißt nicht, dass wir in dieser Phase nicht auch total nett und liebevoll sein können. Solange unsere Bedürfnisse erfüllt sind und wir das Gefühl haben, wir kommen voran, sind wir freundlich, charmant und großzügig – das sichert ja zudem auch den Status.

Wenn wir das Gefühl haben, wir kommen nicht voran, dann treten aber all die eher negativen Aspekte zu Tage, die wir schon erwähnt haben. Wir beginnen andere zu hinterfragen - wir hinterfragen nicht uns, bzw. nicht gern und nicht ehrlich genug.

Wir sind der Überzeugung, dass die Welt so ist, wie wir sie sehen und verstehen nur leicht und oberflächlich, dass es keine Wahrheit gibt, sondern nur Wahrnehmung - und dass diese praktisch komplett von unserem Inneren abhängt.

Wir reagieren immer noch sehr direkt auf unsere Gefühle und glauben, dass diese Wahrheiten sind. Wenn mich wer ärgert, dann ist mein Ärger ein eindeutiges Signal, dass der andere gerade richtig blöd, gemein oder böse war. Wir hinterfragen nicht, warum die andere Person mit ihrem Verhalten meine Emotion auslösen konnte - was in mir berührt wurde. Wir hinterfragen nicht den Kontext des Verhaltens unseres Gegenübers - ob die Person es vielleicht sogar gut gemeint hat und es nur bei uns schlecht angekommen ist.

Und dadurch verstehen wir auch noch nicht, dass wir - wenn wir das anpassen, was in uns berührt wird - wir automatisch unsere Reaktion in Zukunft anders wird. Damit gewinnen wir die Macht über große Felder unserer emotionalen Welt und damit automatisch auch über die Interaktion mit der Außenwelt. Wir können uns von Emotionen distanzieren, sie betrachten, analysieren und damit wird die Interaktion mit der Außenwelt zu einem ständigen Lern-Raum, in dem wir über die Welt und aber vor allem über uns lernen, ohne nur mehr Spielball von äußeren Ereignissen und inneren Reaktionen zu sein.

Wenn wir in der Stufe 5 etwas vorangereift sind, beginnen wir diese Dinge zu verstehen und wenn wir ganz in unserer "Mitte" sind, also einen echt gelassenen, relaxten Zustand haben, schaffen wir etwas von dieser inneren Distanz - aber sobald etwas stärkere Emotionen ins Spiel kommen (Frust, Angst, Wut, Lust, ...), fallen wir sofort in das archetypische Stufe 5 - Muster zurück, in dem alle anderen primär mal Schuld und blöd sind und es sich alles darum dreht, dass wir unsere Ziele vorantreiben.

Tja, nun sieht es so aus, als müssten wir noch eine Teilung vornehmen. Die Stufe 5 bietet einfach zu viel. Wir sehen uns auf der dritten und letzten Etappe alsbald wieder. In der sehen wir dann auch, wie wir das Beste aus dieser Reife-Phase holen und dann trotzdem den Übergang in die höhere Stufe 6 schaffen – und sogar vorher schon die wesentlich größere Zufriedenheit methodisch nutzen können.

Bis dahin wünsche ich eine tolle Zeit.
Jörg